Aktuelles zur SGB VIII-Reform
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Dipl.-Kfm. Jürgen Groteschulte
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Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) arbeitet derzeit an der im Koalitionsvertrag vereinbarten Reform des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII). Im September 2016 fanden vier Gespräche von Vertreter/-innen des BMFSFJ mit Vertreter/-innen von Verbänden zu zentralen Themen der Arbeitsentwürfe statt. Folge dieser Gespräche war der Rückzug des zweiten Arbeitsentwurfes (Vor-Entwurf eines Referentenentwurfes) vom 23. August 2016 zum neuen SGB VIII. Ein offizieller Referentenentwurf für eine, jetzt nur noch kleine, SGB VIII-Reform wurde vom BMFSFJ für Ende Januar/Anfang Februar 2017 angekündigt.
Die Berichterstatterin des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages, Ulrike Bahr (SPD), informierte auf einer Fachveranstaltung am 9. November 2016 in Berlin darüber, dass es geplant sei, das Gesetz noch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode möglichst bis zur Sommerpause zu verabschieden. Außerdem soll die in den Verbände-Anhörungen und darüber hinaus formulierte Kritik in die Überarbeitung bzw. Neugestaltung des Referentenentwurfs einfließen.
Viel Kritik aus der Fachöffentlichkeit
Die beiden internen Arbeitsentwürfe des BMFSFJ vom 7. Juni 2016 und vom 23. August 2016 lösten viel Kritik in der Fachöffentlichkeit aus. Hierbei handelt es sich um Entwürfe für das größte Reformvorhaben in der Kinder- und Jugendhilfe seit dem KJHG 1990. Das BMFSFJ betont, dass es ihm um die Stärkung von Kinderrechten und die Umsetzung inklusiver und sozialräumlicher Ideen gehe. Damit schließe es an fortschrittliche fachliche Diskurse in der Jugendhilfe an.
Kritisiert werden der hohe Zeitdruck und der fehlende breite Diskurs, unter dem das BMFSJ die Novellierung vorbereitet. Diese Vorgehensweise wird als nicht angemessen angesehen, da das Vorhaben weitrechende Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendhilfe hat.
Des Weiteren werden auch inhaltliche Aspekte des Reformentwurfes kritisiert. Ein Vorwurf lautet, dass angeblich unter dem Deckmantel einer „großen Lösung“ Rechte von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern auf Hilfe, aus finanziellen Gründen, zurechtgestutzt werden. Beispielsweise entfiele der Anspruch der Eltern auf „Hilfe zur Erziehung“, doch können Kinder „Hilfe auf Entwicklung“ beantragen. Dies wirkt wie eine Stärkung der Kinderrechte, jedoch sehen Kritiker eine Einschränkung der Möglichkeiten von Eltern eine kinderwohlorientierten Erziehung zu unterstützen. Eltern benötigen einen frühzeitigen Rechtsanspruch auf „Hilfen zur Erziehung“, der nicht erst greift, wenn das Kind bereits die Folgen von Defiziten in der Erziehung zu tragen hat. Ein primärer Ansatz beim Kind verlagere die Hilfe von der Ursache auf das Symptom.
Von der Fachöffentlichkeit als sinnvoll erachtet wird unter anderem die Überlegung, dass infrastrukturelle Angebote und präventive Strukturen gestärkt werden sollen. Eine rechtssichere Finanzierung niedrigschwelliger Angebote wird hierfür als Voraussetzung angesehen. Dies bedeutet, dass neben der „Hilfe zur Erziehung“ auch „niederschwellige Ansätze“ oder „sozialräumliche Angebote“, wie Familienzentren, Kindertagesstätten und Jugendtreffs im Gesetz festgeschrieben werden sollen. Diese Einrichtungen sollen Hilfe leisten, bevor das Jugendamt eingeschaltet werden muss. Die rechtliche Stellung der präventiven Hilfe im Sozialrecht würde so deutlich aufgewertet und der Handlungsspielraum der Jugendämter würde erhöht. Eine Verbesserung der unmittelbar zugänglichen Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe, einschließlich der „Frühen Hilfen“, würde dazu beitragen, der Zunahme der Fälle, in denen „Hilfen zur Erziehung“ erforderlich sind, wirksam zu begegnen.
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe betont in einer Stellungnahme, dass individuelle Leistungsansprüche und sozialräumliche Angebote sich ergänzen sollen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Hilfesuchende dürften nicht aufgrund des Kostendrucks der Länderfinanzminister mit inhaltlich ungenügenden, aber als sozialräumlich etikettierten Leistungen abgespeist werden. Hier sei ein breites Angebot an sozialräumlichen Angeboten, welche die Gewährung von „Hilfen zur Erziehung“ überflüssig machen, zwar wünschenswert, allerdings werde man dies nicht verordnen können, indem der Rechtsanspruch auf individuelle Hilfeleistung (bisher SGB VIII § 28 ff.) eingeschränkt wird. Hier wird befürchtet, dass individuelle Rechtsansprüche der Eltern auf „Hilfe zur Erziehung“ durch eine Ausweitung des Ermessens öffentlicher Träger und die daraus resultierende Möglichkeiten, Hilfesuchende auf Regelangebote zu verweisen, beschnitten werden.
Überlegungen über eine „Regionalisierung der Sozialgesetzgebung"
Eine weitere große Sorge der Fachöffentlichkeit stellt die vom Bundesfinanzministerium angestrebte „Regionalisierung der Sozialgesetzgebung" dar. Hierdurch soll den Bundesländern ermöglicht werden, von bundesrechtlichen Standards zur Leistungsgewährung in der Kinder- und Jugendarbeit nach SGB XII und SGB VIII abzuweichen. Je nach Finanzlage können damit die Leistungsstandards wie z.B. die „Hilfe zur Erziehung“ angepasst werden. Hier besteht die Sorge, dass eher finanzielle als fachliche Argumente die Oberhand gewinnen könnten. Bundesweit stiegen die Ausgaben der zuständigen Kommunen für den Kinder- und Jugendschutz von 4,4 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 7,7 Milliarden Euro in 2014. Auffällig ist, dass 90 Prozent der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe an fünf Prozent der Familien gehen.
Neben dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble setzt sich auch Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ein. Hamburg gibt für Kinder- und Jugendschutz mehr als 300 Millionen Euro im Jahr aus, mit deutlich steigender Tendenz. 2020 kommt jedoch die Schuldenbremse. Die Hansestadt scheint nun auf dem Weg zu einem neuen Gesetz eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ein freier Träger hatte hier geklagt, dass sinnvollere und preiswertere Wege der „Hilfe zur Erziehung“ nicht vom Gesetz gedeckt sind und bekam in erster Instanz Recht. Alleine in Hamburg bieten etwa 300 Träger Angebote im Bereich „ Hilfe zur Erziehung an.
Abschluss der SGB VIII-Reform noch in dieser Legislaturperiode möglich?
Falls eine erste Fassung eines Referentenentwurfs zu einer kleinen SGB VIII-Reform dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages am Ende Januar/Anfang Februar 2017 vorliegt, müsste als nächstes ein Regierungsentwurf des neuen Gesetzes in das Kabinett und danach in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden. Hierbei ist zu beachten, dass das neue Gesetz noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden müsste. Gesetzesvorhaben, die mit Ende der Legislaturperiode nicht abgeschlossen sind, dürfen nach dem „Diskontinuitätsprinzip“ in der neuen Legislaturperiode nicht mehr weiterbehandelt werden. Dies würde bedeuten, dass die SGB VIII-Novellierung gegebenenfalls in der neuen Legislaturperiode von neuem beginnen muss. Obwohl eine endgültige Beurteilung erst mit Vorlage des Referentenentwurfs möglich ist, sollte sich die Fachöffentlichkeit aufgrund des kurzen noch verbleibenden Zeitfensters, bereits mit den Plänen befassen.
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